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Die Regenschlacht in den schweizer Bergen – 100km Regen, der etwas andere UltraMarathon. Ein Laufbericht von Fritz Rietkötter
Mein Jubiläumslauf. Alle UltraMarathon und Marathonläufe addiert und durch 42,195 geteilt ergab bei Km68 die magische 50 -also zum 50zigsten Mal die Marathondistanz gelaufen. Es sollte ein ganz besonderer Lauf werden und so begann es schon Tage zu vor, das er seine „Schatten warf“. Die Wettervorhersage lies nichts Gutes erahnen und so schaute ich Tag um Tag auf die Vorhersage und konnte nur immer wieder feststellen: Regen ist sicher, nur wie stark er würde war die Frage.
Los ging es am Donnerstag mit Maria, Hans, Sandra und Hartmut in Richtung Biel. Dort wollten wir uns am Freitag mit Stefan und Sven treffen, den beiden Bekannten von Hartmut. In Biel angekommen hiess es zunächst Zimmer beziehen und dann auf die Marathonmesse, um die Startunterlagen abholen. Der neue Platz, sowohl Start- wie Zielgelände, ist gut gewählt. In der Nähe des HBF und jeweils 5min von unserem Hotel entfernt. Das wird sich auch nach dem Lauf auszahlen, dachte ich mir. Schon jetzt kündigte sich das an, wovon es noch jede Menge geben sollte: Regenschauer. Abends ging es zum Italiener und am Freitag vormittag auf eine kleine Stadterkundungstour. Dann nochmals etwas Ruhen, Abends wieder zum Italiener und dann gegen 21.30Uhr zum Startgelände.
Der Regen lies vorübergehend nach, so dass wenigstens der Startschuss ins trockene fiel. Auf den ersten Kilometer ging es zunächst darum, den eigenen Laufrhythmus zu finden. Ziel war schließlich eine Zeit von „11:59Std-Minus-X“. Also ruhig ins Laufen kommen. Hans lief neben mir und so ging es gemeinsam in den ersten Regenschauer. Einziger Kommentar von Hans: Wenigstens funktioniert die Wasserkühlung. So kann man es auch sagen, war dazu mein einziger Gedanke. Kaum ausgedacht, gab es die erste Regenverschärfung. Es schüttete von oben und an den Steigungen, die wir hoch mussten, kam uns das Wasser in Bächen entgegen. Die Laufsachen waren relativ schnell durch, aber das Körpergefühl war gut. Irgendwann auf den ersten 6km trennten Hans und ich uns dann. Er lief sein, ich mein Tempo.
Bei km12 ging es schließlich in die erste Schlammwertung. Die Wegstrecke führte durch Wiesen und Felder. Der Laufweg wurde schlammig. Los ging es dann aber erst richtig nach einer Rechtskurve. Hier tat sich die erste Wasserstelle auf, so das man denken musste: und wo ist der Fährmann? Es half alles nichts, es ging quer durch. Von oben goss es wie aus Kübeln und von unten liefen die Laufschuhe mit einem Gemisch aus Wasser und Dreck voll. Jetzt hiess es kämpfen. Es regnete mittlerweile so stark, dass das Wasser von der Mütze unter die Laufjacke lief, dort als Rinnsal, mein Bach, an der Wirbelsäule runter und durch die Hose in die Laufschuhe. Die Haut weichte auf, wurde wund gescheuert, durch die nassen Laufsachen / Schuhe. Aber es musste weiter gehen, 85km standen noch bevor. Aus meinen 24-Std-Läufen weiss ich, wie es ist, in die Nacht zu laufen. Wenn es langsam kühler wird, wenn der Körper gegen den eigene Biorhythmus eine Top-Leistung abrufen muss, die Müdigkeit sich mit der Kälte verbündet und der innere Schweinehund zum großen Widersacher wird. Aber wie wird es mit dem Dauerregen? Der Blick zurück am Hang entlang zeigte eine unendlich scheinende Reihe von Stirnlampen und nach vorne das gleiche Zennario. Eine endlos scheinende Lichterreihe. Hier spätestens realisiert man, wie lang diese Nacht der Nächte noch werden wird. Doch das Zeitziel und damit das notwendig Tempo, stand fest. Egal ob rauf oder runter, ob Straße, Schlamm, Stock oder Stein. Das Lauftempo musste auf ca. 6:45min je km gehalten werden, um ausreichend Zeit für Verpflegung und die eine oder andere Schwierigkeit zu haben.
Meine Cap-Light leuchtete nicht nur den Weg aus, sondern gab auch einen faszinierenden Blick auf den prasselnden Regen im Dunkel frei. Irgendwie doch auch interessant dachte ich mir, zumal ich solche Situationen aus dem UltraMarathon Georgsmarienhütte nur zu gut kannte, nur eben die Länge eines solchen „Regenschauers“ nicht.
Nachdem wir wieder geteerten Weg erreichten, ging es Richtung Lyss. Dort warteten die Fahrradbegleitungen. Mit Maria, meinem Fahrrad – Coach, war das Treffen in Laufrichtung linke Straßenseite abgemacht. Also ran an den linken Bordstein. Es dauerte auch nicht lange, da hörte ich schon ihre Tröte, mit der sie die anderen Läufer anfeuerte. Für mich ist dies aber auch immer ein motivierendes Signal, wenn wir mal getrennt wurden, denn ich weiss so, dass sie in der Nähe ist . Gemeinsam ging es dann weiter, Steigungen hinauf und hinunter, immer dem Regen trotzend. Es ging durch Waldgebiete, wo wieder die Stirnlampe ein unverzichtbares Gut wurde. Und immer das Tempo halten. Km um km, immer den gleichen Rhythmus. Irgendwann hörte es auf zu regnen, die Kleidung wurde gefühlt etwas trockener aber nur, um mit dem nächsten Regen wieder zu durchnässen. In den Bergen fallen Schauer eben schon mal etwas stärker aus, als bei uns in der norddeutschen Tiefebene.
Erstes wirkliches Ziel war gegen 2:30Uhr Oberramsen. Hier war km40, Marathonziel und für mich die erste harte Zwischenzeit. Es war kaum zu glauben, trotz der Widrigkeiten hielt die Zeit. Fast auf die Minute kam ich über die Zwischenmarke. Meine Motivation war so groß, ich hätte Bäume ausreisen können. Und der Regen? Egal.. Verpflegung aufnehmen und wieder in die Nacht hinaus. Weitere 15km bis Kirchberg. Hier war die große Verpflegungsstation und hier bei km55 beginnt das Leiden. Erst der Hu-Ji-Min-Pfad, dann die Steigungen und endlos scheinenden Restkilometer. Wie heisst es so treffend für die 100km: Bei km70 hast du die Hälfte erreicht und dann folgt der längere Teil. Aber das war noch hin. Der Rhythmus hielt und dann wieder in einen Schlammweg. Maria war bei der letzten Verpflegung zum Auffüllen unserer Wasservorräte etwas länger geblieben. So das ich an diese Stelle alleine ankam.
Also wieder rein in den Schlamm. Vor mir hat es einem Läufer fast den Schuh ausgezogen. Hoffentlich merkt Maria das rechtzeitig und steigt ab -dachte ich noch-, um nicht mit dem Rad zu stürzen. Falls nicht werde ich es an dem Schlamm sehen, der vermutlich dann überall an ihr kleben würde. Irgendwann schloss Maria, ohne Schlamm, auf und so wurde auch dieses Teilstück bewältigt. Dann kam Kirchberg. Jede Menge Bewegung an der Verpflegungsstelle, die mich aus meinem Rhythmus riss. Hier wurden Läufer und Begleitung wieder getrennt. Jetzt gegen 4.00Uhr ging es auf den Hu-Ji-Min-Pfad und damit im Dunkeln förmlich über Stock und Stein. Jeder Schritt wurde zur Lotterie ob Sturz oder nicht. Trotzdem hielt ich mein Tempo bei. Im faden Licht meiner Cap-Light waren fast alle Probleme einigermaßen auszumachen. Konzentration war hier angesagt.
Und dann kam das, was Biel ausmacht. Plötzlich wurde es heller. Der Morgen kam mit riesen Schritten, die Vögel sangen, der Duft der Natur. Es war nur geil hier zu laufen und zu wissen, dass der eigene Körper unter Volldampf steht. Dann trafen wir Läufer endlich wieder auf unsere Fahrradbegleitungen. Nochmal an die Verpflegungsstelle und dann gemeinsam weiter. Jetzt war das Laufen frei. Keine Unebenheiten, nur noch Strecke machen. Die Gedanken laufen lassen und km um km abspulen. Tempo halten, Puls kontrollieren, alles lief wie ein Uhrwerk. Laufen macht Spass! Steigungen kamen und gingen, es lief. Dann der Start der Konzentration auf den Berg der Berge. Die letzte Verpflegung vor dem Berg war mit 7Minuten eingeplant, den Ort erreichte ich gegen 6:30Uhr. Von Bibern nach Arch ging es auf ca. 12km erst Bergauf und dann bergab. Taten bergauf erst die Muskel hinten weh, dann bergab vorne und somit endlich ein ausgewogener Schmerz überall. Dafür war die Aussicht auf der Kuppe riesig und schließlich auch diese Herausforderung gemeistert.
Dann wieder die Konzentration aufs Tempo halten. Egal ob Berg auf oder ab, egal welche Wegstrecke, welche Steigung. Zeit hochrechnen, „11:59 minus X“ hiess die Vorgabe. Und immer wieder die Feststellung, dass die Laufzeit stimmt. Maria neben mir tat alles für die Motivation, was sich auf den letzten 18km noch vielfach auszahlen sollte und so ging es von Arch an den Fluss Aare. Nun ging es fast 20km gerade aus. Jetzt hiess es Laufen wollen. Immer am Fluss entlang, eine endlos scheinende Gerade. Die Strategie hiess, die Strecke in 5km-Distanzen aufzuteilen. Plötzlich meinte Maria, da angelt einer. Wofür die alles Augen hat, am frühen Morgen? Und wieso Angeln? Hier wird gelaufen und Laufen macht Spass, trotz der Schmerzen überall. Wieder Konzentration aufbauen, in den Körper rein hören. Wo beleibt das Schild 85km? Vor mir hängt ein Läufer an einem Zaun und kotzt. Mir hängt das Geräusch noch die nächsten Kilometer nach. Dann endlich passiere ich km85, die nächsten 5km angehen. Ab km90 nochmals alles mobilisieren und gegen den inneren Schweinehund ankämpfen, das Lauftempo hochnehmen, auch wenn der Körper sagt, es reicht. Ich hänge mich an Marias Hinterrad und konzentriere mich ganz auf den Laufrhythmus. Schmerzen im rechten Oberschenkelmuskel bauen sich langsam auf. Jetzt nur keinen Krampf, dachte ich. Auf die Schrittfolge konzentrieren und auch durch dieses körperliche Tal hindurch. Mein Körper, mein Geist funktionieren.
Dann km95, jetzt dran bleiben. Wieder die Zeit und den Puls kontrolliert. Es passt, verflucht, es passt! dachte ich. 11:30Std gekämpft, vom ersten Kilometer die Laufgeschwindigkeit gehalten, egal ob steinig, Schotter, Matsch, hell oder dunkel (alle 10km Zeiten: 1:08/1:09/1:11/1:12/1:13/1:15/1:13/1:14/1:10/1:09Std). Mein Körper mobilisierte die letzten Kraftreserven. Maria gibt immer wieder Infos, wenn das Lauftempo zu hoch ist. Dann km98, dann km99, die Distanz flog dahin, kurz vor dem Ziel wurde Maria als Fahrrad-Coach auf eine andere Strecke umgeleitet. Hinter den Bäumen lag sie dann, die langersehnte Zielgerade. Der Zeitpunkt, auf den sich die ganze Nacht konzentriert wurde, auf den endlose Trainingskilometer ausgerichtet waren. Die letzte Kurve und dann rauf auf den blauen Teppich, wieso eigentlich kein roter? – egal... Der Sprecher rief meinen Namen, .
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